Liebling, ich habe das Auto verkauft!
Vom Selbstversuch, die Deutsche Bahn zu präferieren. 2011.
Ich hatte mich darauf gefreut, nach dem Wegfall horrender Unterhaltskosten für unser Auto nun frohen Mutes ein guter Kunde der Deutschen Bahn zu werden. Sie in dem Ausmaß zu nutzen, "wo es sich lohnt". So mit Bahncard und so. Doch der Konzern ist auch 2011 noch unerträglich - an allen Ecken und mit großem Erfolg.
Es fängt mit der Diskrepanz zwischen Außendarstellung und Kundenerfahrung an: In der Manier der weltgrößten Lügenbeutel lässt mir die Bahn das Märchen von der glücklich verreisten Familie von den Plakatwänden erzählen. Für 49€ quer durch Deutschland - alle zusammen! Gut, auf Werbung nichts zu geben sind wir gewohnt. Das macht sie aber nicht besser.
Es grenzt beinahe an eine Kunst all die Tricks aufzuzählen, mit denen die Bahn versucht, zu verhindern, dass jemand am Ende tatsächlich in den Genuss der Familie von der Plakatwerbung kommt: Gibt man auf der website einfach Start und Ziel ein, bekommt man sowieso nicht die erwarteten Tickets. Zur Verwirrung gibt es aber neben den regulären Preisen schonmal andere Spartickets. Auch der "Sparpreisfinder" lügt: "Wir haben für Sie günstige Verbindungen gefunden" - ab 109€. Das Angebot findet sich erst hinter einer unscheinbaren, unbebilderten, grauen Notiz am Seitenrand. Danach darf man seine Suche erneut eingeben, diesmal mit Captcha - wollen sie Roboterkäufe verhindern? Roboter haben keine Personalausweise soweit ich weiß.
Ich versuche nun seit einer geschlagenen Stunde nicht anderes, als solch ein Bahnticket zu kaufen. Dabei hat die Bahn meinem Browser inzwischen 9 Tabs verpasst. Die Browserhistorie ist natürlich ein Holzweg. Obwohl ich bereits sämtliche sensiblen Daten inkl. Bankverbindung bei der Registrierung zu "Touch & Travel" notgedrungen angegeben habe, musste ich inzwischen diese sowie die letzten 4 Stellen meiner Personalausweisnummer noch ein weiteres Mal eingegeben. Obwohl oder gerade weil die Bahn mit der Verwendung der "höchsten derzeit verfügbaren Sicherheitsstandards" prahlt, sehe ich realistisch der freien Verfügung durch Anonymous, Lulzsec, ScriptKiddies oder sonstwem entgegen. Die Frage ist nur noch, ob sie "Touch&Travel" oder "MeineBahn" zuerst knacken.
Natürlich ist der Konzern selbst auch und immer noch ein potentieller Missbraucher: Schließlich habe ich bei dem Verfahren alles Mögliche und Unmögliche anhaken müssen. Für alle Fälle verwende ich seit geraumer Zeit ein Kürzel der jeweiligen Datenkrake als zweiten Vornamen, um wenigstens hernach vorzeigen zu können, auf wessen Betreiben ich neuerdings zweitausend neuen Anbietern mit postalischer Adresse bekannt bin für mein Interesse an gutem Rotwein, Versicherungen, Rolex, Potenzmitteln und Penisverlängerungen.
Doch das berechtigt mich noch lange nicht, in den Genuss von modernen Zwischenspeichertechnologien zu kommen. Trotz Cookies und SessionIDs weiß die Bahn nicht, wohin ich will und wann und zu wievielt und mit welchen BahnCards und verdammt noch alles andere, das ich jetzt zum dritten Mal eingebe - und darf immer noch nicht auf weiter klicken. Dieses trotzige Formular will meine Kreditkarteninfos trotz Anmeldung zum Lastschrifteinzug haben. "Für die bequeme Teilnahme am Lastschriftverfahren loggen Sie sich einfach unter MeineBahn mit Ihrer Kontoverbindung ein". Natürlich habe ich inzwischen noch ein paar Mal die komplette Suchmaske durchlaufen, weil es die herausgesuchte Verbindung nicht memorieren kann. Geht einfach nicht. Nicht bevor ich ein Formular ausgedruckt und unterschrieben zurückschicke. Aber nach fünf Minuten die Session killen, das kriegen sie hin.
Das ist die deutsche Bahn 2011, ja! Das Unternehmen, das der Luftfahrt Konkurrenz macht, und für Güter absichtlich ungünstige Konditionen anbietet, damit der hauseigene Spediteur auf der Straße Gewinne einfährt. Anstatt signifikant beizutragen, dass wir unsere Transportinfrastruktur vom Erdöl unabhängig machen.
Als bekannt wurde, dass Hartmut Mehdorn bei airberlin das Ruder übernimmt, fiel mir fast die Kinnlade runter - viel eher hätte ich damit gerechnet, aus den Nachrichten zu erfahren, der Ruinierer der deutschen Bahninfrastruktur sei wegen Verbrechen an der Menschlichkeit zu 23 Jahren ohne Bewährung verurteilt.
Stuttgart hin oder her, in der Gesamtsache Bahn haben wir noch viel, viel zurückzuerobern.
Blausand,
ich mag auch kein Glutamat und schon gar nicht im Birnsaft. Bahn ist ein trauriges Thema und dadurch schon fast gar kein Thema mehr für mich. Mich interessiert eher, wie’s Dir geht!
Gruß, Biggi wesstscho